In der Mainzer Straße werden 13 Steine verlegt

„Stolpern über unsere Geschichte“

Gedenken – In der Mainzer Straße werden 13 weitere Steine verlegt, die an Opfer des Nazi-Terrors erinnern sollen

Viele Bürger verfolgten die dritte Stolpersteinverlegung in Groß-Gerau. Bei der Gedenkveranstaltung in der Mainzer Straße informierten Schüler der Martin-Buber-Schule über die Schicksale der jüdischen Familien.  Foto: Robert Heiler
Vor drei Häusern der Mainzer Straße wurden erneut Stolpersteine in Gedenken an jüdische Familien verlegt, die während der Zeit des Naziterrors Ausgrenzung, Flucht und Tod erlitten. Seit Ende 2012 war es die dritte Aktion, um letztlich an insgesamt 154 Opfer zu erinnern.


GROSS-GERAU.

„Wir konnten mehr als 30 Häuser und mehr als 150 Personen identifizieren, die hier als Juden Opfer des Naziterrors wurden“, so Hans-Georg Vorndran, Mitglied des Fördervereins jüdischer Geschichte und Kultur im Kreis. In Kooperation mit der Stadt, dem Evangelischem Dekanat sowie der Martin-Buber-Schule (MBS) wurde am Freitag in der Mainzer Straße Nummer 7, 8, 17 und 22 zum dritten Mal an Menschen gedacht. 13 Stolpersteine kamen nun zu den sieben bereits vorhandenen hinzu.

Die Mehrheit der Bevölkerung schwieg, als Siegmund Strauss mit seinen Schwestern Bertha und Ricka, die einen Kurzwarenladen betrieben, sowie Familie Goldberger und Familie Oppenheimer, die eine renommierte Landmaschinenhandlung führte, fliehen mussten, deportiert und teils ermordet wurden. „Siegmund Strauss stürzte sich 1942 aus dem Fenster eines Krankenhauses“, referierten Schüler der MBS, die sich mit dem Schicksal der Verfolgten befasst haben. „Ludwig Goldberger war der einzige Überlebende, der nach Flucht und Odyssee durch Europa Ende des Krieges nach Groß-Gerau zurückkehrte. Bis zu seinem Tod 1996 pflegte er den jüdischen Friedhof“, so die Schüler. Familie Oppenheimer durchlitt ebenfalls dramatische Verfolgung und floh in die USA.

Walter Ulrich vom Förderverein Jüdische Geschichte, Wolfgang Prawitz vom Dekanat sowie Jochen Auer (SPD) als Vertreter des Magistrats, sprachen verbindende, respektvolle Worte. Dabei erinnerte Prawitz an die Haltung der evangelischen Kirche, die 1933, als die Verfolgung der Juden begann, kein klares Bekenntnis fand, sich an die Seite der Opfer zu stellen. „Wir verfolgen die Entwicklung mit größter Wachsamkeit“, hieß es von oberster Stelle. Zu wenig, um die Tragödie aufzuhalten, zu wenig, um im Namen Jesu den Verfolgten die Hand zu reichen, so Prawitz. Jochen Auer sagte: „Gunter Demnig formuliert treffend, dass ein Mensch erst dann vergessen sei, wenn sein Name vergessen ist. Die Demütigung und Verurteilung der Juden vor den Augen der Mitbürger ist für mich noch heute unvorstellbar.“ Er schlug den Bogen ins Heute, wies auf die Ergebnisse der Europawahl hin, die zeigen, dass es „neuen Demagogen auf erschreckende Weise gelingt, Tausende Stimmen für diffamierende, ausgrenzende Politik zu gewinnen.“ Umso wichtiger sei die Stolpersteinverlegung, für die jeweils Paten gesucht werden, die beitragen, dass das Schicksal jüdischer Mitbürger nicht vergessen wird. Bundesweit hatte es zuletzt mehrfach Vandalismus gegeben, wobei Unbekannte die Stolpersteine wieder entfernten. So auch in Griesheim und Schneppenhausen. „Das sind keine dummen Bubenstreiche, sondern eindeutig politisch motivierte Handlungen. Das ist Rechtsradikalismus in neuem Gewand“, warnte Walter Ulrich.

Während Nadja, Michelle, Max und Jonathan von der MBS minutiös zum Leben der Familien Oppenheimer, Goldberger und Strauss referierten, klopfte der Kölner Künstler Gunter Demnig sorgsam die 13 Stolpersteine für die Opfer fest. „Das Grauen begann nicht in Auschwitz – es begann in unserer Nachbarschaft, vor unserer Tür“, pointierte Demnig. Bislang hat er 47 000 Steine in 18 Ländern verlegt. „Wir müssen stolpern über unsere Geschichte“, unterstrich Ismail Özdogan, der als Vorsitzender des Integrations-Vereins „Generation X“ zugegen war.

  Weitere Infos gibt es auf www.erinnerung.org.

Birgid
Author: Birgid

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